Jeden Dienstag wird ein anderes Thema aus der reichen Tradition des Christentums aufgegriffen – von Heiligenlegenden über Glaubenswahrheiten bis hin zu Bräuchen und Festen.
Der Name «Glaubensfunken» ist bewusst gewählt: Wie kleine Funken wollen die Impulse überspringen und das Feuer des Glaubens (neu) entfachen. Aus diesen kleinen Glaubensfunken kann dann eine hell lodernde Flamme für sich und andere werden.
Glauben ist keine trockene Lehre, sondern eine lebendige Kraft, die das Leben erhellt und mit Sinn und Freude erfüllen will. Ich wünsche gute Gedanken und freudige Taten.
Christopher Zintel
KW 45 – Martin -Denn er fürchtet weder Tod noch Teufel
„O virum ineffabilem, nec labore victum nec morte vincendum, qui nec mori timuit, nec vivere recusavit» –
„O unaussprechlicher Mann, weder von Mühe besiegt noch vom Tod zu bezwingen, der weder den Tod fürchtete noch das Leben verweigerte.»
Mit diesen bewegenden Worten beschreibt Sulpicius Severus in einem Brief den Tod des Martin von Tours. Diese wenigen lateinischen Worte fassen das ganze Geheimnis dieses aussergewöhnlichen Heiligen zusammen: ein Mann, der vollkommen frei war – frei von der Angst vor dem Tod und gleichzeitig frei von der Flucht vor dem Leben.
Doch was bedeutet das konkret? Wie lebte ein Mensch, der diese radikale innere Freiheit besass? Die Geschichte Martins zeigt uns einen Mann, der sein ganzes Leben lang diese Haltung verkörperte.
Geboren zwischen zwei Welten
Geboren um 316/317 in Savaria, dem heutigen Szombathely in Ungarn, stammte Martin aus einer höheren militärischen Familie. Martinus, vom Namen her dem lateinischen Kriegsgott Mars zugehörig, sollte diesen Namen auf eine Weise erfüllen, die sein Vater nie vorgesehen hatte und als «Soldat Christi» in die Geschichte eingehen.
Seine Kindheit verbrachte er in Pavia in Oberitalien, wo er erstmals mit dem Christentum in Berührung kam. Im Alter von zehn Jahren wurde er in die Gruppe der Katechumenen, der Taufbewerber, aufgenommen. Doch sein Vater, selbst ein römischer Tribun, bestimmte anders: Martin sollte ihm in die Armee folgen. Mit gerade 15 Jahren wurde Martin zur Reiterabteilung des Kaisers eingezogen – einer Elite-Einheit.
Schon hier begann Martins innerer Kampf: Er fürchtete nicht den Militärdienst, aber er verweigerte auch nicht, sein Leben nach Gottes Willen auszurichten. Er tat seinen Dienst, aber lebte bereits wie ein Mönch.
Die Mantelteilung – Der Anfang der Freiheit
Ab 334 war Martin als Soldat der kaiserlichen Garde in Amiens stationiert. Hier trug sich das wohl bekannteste Ereignis seines Lebens zu: die Mantelteilung mit einem frierenden Bettler vor den Toren der Stadt. Am Stadttor von Amiens begegnete Martin einem unbekleideten Mann. Ausser seinen Waffen und seinem Militärmantel trug Martin nichts bei sich. Er teilte seinen Mantel mit dem Schwert und gab eine Hälfte dem Armen.
In der folgenden Nacht erschien Martin im Traum Christus, bekleidet mit dem halben Mantel, den Martin dem Bettler gegeben hatte. Diese Begegnung war keine sentimentale Vision – sie war der Durchbruch zu jener Freiheit, die Sulpicius später beschreiben würde: Martin erkannte, dass das Leben nicht darin besteht, es festzuhalten oder es zu fliehen, sondern es ganz hinzugeben.
„Ich bin Soldat Christi»
Im Jahr 356 diente Martin unter dem späteren römischen Kaiser Julian im Kampf gegen die Alamannen nahe Worms. Hier vollzog sich Martins entscheidender Bruch: Er verweigerte die Teilnahme an der Schlacht mit dem Hinweis, eine Wandlung weg vom miles Caesaris, einem Soldat des römischen Kaisers, hin zu einem miles Christi, einem Soldat Christi.
Sulpicius Severus berichtet in seiner Vita Sancti Martini, dass Martin zum Kaiser sagte: „Bis heute habe ich dir gedient, Herr, jetzt will ich meinem Gott dienen und den Schwachen. Ich will nicht mehr länger kämpfen und töten. Hiermit gebe ich dir mein Schwert zurück.»
Das ist es: Martin verweigerte nicht das Leben – er verweigerte lediglich, es für die falschen Ziele einzusetzen. Er fürchtete den Tod nicht, denn sein Leben gehörte bereits Christus.
Das erste Kloster – Leben in radikaler Hingabe
Im Alter von 18 Jahren wurde Martin von Hilarius, dem späteren Bischof von Poitiers, getauft. Martin lebte etwa ab 360 als Einsiedler in Ligugé bei Poitiers; aus dieser Zelle wuchs das 361 dort von ihm gegründete erste Kloster Lucoteiacum – das später nach Martin benannte Kloster Saint-Martin –, das erste Kloster in der westlichen Kirche überhaupt.
Martin beeindruckte das Volk durch sein asketisches Leben, seine Fürsorge für die Nöte der Armen und seine Wundertaten. Er lebte weder in Todessehnsucht noch in weltlicher Bequemlichkeit – sondern in völliger Hingabe an den Augenblick, in dem Gott ihn brauchte.
Der Bischof wider Willen – Dienst ohne Flucht
Im Jahre 371/372 wurde Martin auf Drängen des Volkes Bischof von Tours. Das Amt erhielt Martin trotz Vorbehalten seitens des Klerus und gegen das Votum anderer Bischöfe, angeblich auch gegen seinen Willen. Die Legende berichtet, er habe sich in einem Stall versteckt, um der Wahl zu entgehen, doch hätten ihn die Gänse durch ihr Schnattern verraten.
Auch hier zeigt sich Martins Haltung: Er flüchtete nicht vor der Verantwortung,er zögerte, weil er demütig war. Doch als Gott durch das Volk sprach, verweigerte sich nicht mehr – er nahm sein Los an und diente fast 30 Jahre lang mit ganzer Kraft.
Beim Volk war Martin beliebt als ein gerechter, treusorgender Bischof. Seine Lebensweise blieb asketisch: er lebte zuerst in einer Zelle an der Kathedrale, 372 gründete er das Kloster Marmoutier an der Loire nahe Tours. Sulpicius Severus berichtet: „Martinus betete ohne Unterbrechung, auch wenn er anscheinend etwas anderes tat … In seinem Mund war nichts anderes als Christus, in seinem Herzen wohnten nur Güte, nur Friede, nur Erbarmen.»
Der letzte Dienst
Martin starb am 8. November 397 im Alter von etwa 80 Jahren auf einer Missionsreise in Candes. Doch er hörte nicht auf zu dienen, bis er seine Augen schloss. Als er spürte, dass sein Ende nahte, machte sich der greise Bischof noch einmal auf – zu einer entfernten Gemeinde, um einen Streit zu schlichten. Ein letzter Akt der Friedensstiftung, der Versöhnung.
Sulpicius Severus, der Martin in dessen letzten Lebensjahren begegnet war, schrieb nach Martins Tod in einem Brief über den Sterbenden: „Nec mori timuit, nec vivere recusavit» – „Er fürchtete sich nicht zu sterben und weigerte sich nicht zu leben.»
Diese Worte sind mehr als eine Grabinschrift. Sie sind das Zeugnis eines Lebens, das vollkommen frei war: frei von der Angst, die uns das Leben raubt, und frei von der Flucht, die uns den Tod herbeisehnen lässt.
Die Patronate – Ein Leben für alle
Der heilige Martin wird verehrt als Schutzpatron von Frankreich und von Ungarn (2. Patron), von Utrecht, des Eichsfelds und von Erfurt in Thüringen, des Kantons Schwyz in der Schweiz, des Burgenlandes und der Stadt Salzburg in Österreich, der Stadt Düsseldorf; der Soldaten, Kavalleristen und Reiter, Polizisten, Huf- und Waffenschmiede, Weber, Gerber, Schneider, Gürtel-, Handschuh- und Hutmacher, Tuchhändler, Ausrufer, Hoteliers und Gastwirte, Kaufleute, Bettler, Bürstenbinder, Hirten, Böttcher, Winzer, Müller; der Reisenden, Armen, Flüchtlinge, Gefangenen und der Abstinenzler und…. der Gänse.!
Jedes dieser Patronate erzählt von einer Dimension seines Wirkens: Er war für die Verletzlichen da, für die Unterwegs-Seienden, für die Ausgestossenen. Er war der Freund der Soldaten, weil er selbst einer gewesen war. Er war der Heilige der Armen, weil er selbst in einfachen Verhältnissen lebte und alles, was er hatte, mit den Bedürftigen teilte.
Martins Bedeutung – noch heute nach über 1600 Jahren – liegt darin, dass er der erste Heilige der Kirche war, der nicht als Märtyrer verehrt wurde, sondern wegen seines gelebten Lebens. Er zeigte, dass die grösste Form der Nachfolge Christi nicht darin besteht, spektakulär für den Glauben zu sterben, sondern darin, täglich neu für den Glauben zu leben – ohne Angst, ohne Flucht, in völliger Freiheit.
Impuls der Woche
„Nec mori timuit, nec vivere recusavit» – Martin fürchtete weder den Tod noch verweigerte er das Leben. Wo in meinem eigenen Leben herrsche Angst vor dem Tod – sei es der körperliche Tod oder der „kleine Tod» des Loslassens, des Scheiterns, der Verwundbarkeit? Und wo verweigere ich das Leben – indem ich mich zurückziehe, mich nicht engagiere, Verantwortung scheue? Wie kann ich wie Martin eine grössere innere Freiheit leben?
Aufruf zum Handeln
Diese Woche laden wir dich ein, eine „Martin-Herausforderung» anzunehmen:
Erste Aufgabe – Das Leben nicht verweigern: Überlege, wo du dich zurückgezogen hast aus Angst, Bequemlichkeit oder Resignation. Wo ruft dich das Leben – durch einen Menschen, eine Aufgabe, eine Verantwortung –, aber du hast bisher „Nein» gesagt? Gehe bewusst auf diese Herausforderung zu. Sage „Ja» zu diesem Leben, das Gott dir schenkt.
Zweite Aufgabe – Den Tod nicht fürchten: Was ist deine grösste Angst? Versagen? Ablehnung? Kontrollverlust? Der körperlichen Tod? Nimm dir Zeit, diese Angst vor Gott zu bringen. Bete um die Freiheit davon. Tue dann bewusst einen kleinen Schritt in Richtung dieser Angst – nicht um sie zu provozieren, sondern um sie durch Vertrauen zu überwinden.
Dritte Aufgabe – Die Freiheit feiern: Halte am Ende der Woche inne und notiere, wo du diese Woche freier geworden bist. Danke Gott für diese Kraft. Frage dich: Was ruft mich auf, diese Freiheit weiterzuleben?